IMG_5661Heute Vormittag erklang im Radio die Violinromanze F-dur von Ludwig van Beethoven. Meine Gedanken gingen ganz weit zurück in meine Studienzeit. Damals, vor fast 40 Jahren, spielte ich dieses herrliche Stück in meinem Examensprogramm an der Kölner Musikhochschule. Und ich führte es mit dem Dinslakener Kammerorchester in einem Freiluftkonzert im dortigen Burgtheater auf. Wie lange ist das her!

Nach meinem Examen entschied ich mich dann gegen den Beruf der Geigerin und für die Musikpädagogik. Ich wollte unbedingt Musiklehrerin werden – sonst hätte ich Dich sicherlich gut 20 Jahre später nicht kennengelernt. Dabei war meine Examensnote in Musikpädagogik die schlechteste von allen meinen Noten – damals in den 1970er Jahren gab es einen großen Umbruch in der Musikpädagogik, und meine Prüfer gehörten eher zur „alten“ Generation. Die „Neuen“ der 1970er Jahre waren alle nicht lange an der Kölner Hochschule geblieben.

Nun spielen sie in NDR Kultur das 5. Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven. Und ich bin in Gedanken ganz bei Dir. In einem Buch habe ich neulich gelesen, dass man die Seele des Verstorbenen dort findet, wo er sich zu Hause fühlte. Und das war für Dich Beethoven – zumindest zum Teil.

Ich lauschte der Musik – und unsere Berner Sennenhündin Senta schien zu verstehen, was los war. Sie sitzt ja sonst immer beim Frühstück auf dem Platz, wo Dein Rollstuhl immer gestanden hat. Heute liegt da ihre Hundedecke. Als die Musik erklang, stand sie auf und legte sich ins Wohnzimmer, mit Blick in die Küche. Dort, wo sie uns beide immer gut im Blick gehabt hatte! Fühlte sie, dass Deine Seele anwesend war?

Ich erinnerte mich an das Konzert, das wir beide zum Abschluss der Mozartwoche im Festspielhaus in Salzburg erlebt hatten – es war im Januar 2006, und Du konntest noch gut mit mir zu all den Konzerten laufen, die wir in dieser Woche gebucht hatten. Nur zum Festspielhaus nahmen wir uns ein Taxi, denn es hatte an diesem Abend zu schneien begonnen. Auch für den Rückweg fanden wir einen Wagen, der uns zum Hotel brachte.

In diesem Konzert hörten wir die Wiener Philharmoniker unter dem jungen Dirigenten Christian Thielemann. Im ersten Teil wurde ein Klavierkonzert von Beethoven aufgeführt, mit einem jungen Pianisten. Ich weiß nicht mehr genau, welches Konzert das war und wie der Pianist hieß – ich war eben immer eher interessiert an Geigern – und ich hatte Zahnschmerzen.

Aber nur bis zur Pause. Denn die Zahnschmerzen verschwanden, als die Wiener Philharmoniker Beethovens siebte Sinfonie spielten. Es war großartig, und beim Schlussbeifall merkte ich plötzlich, dass mein Zahn nicht mehr wehtat (übrigens bis heute nicht). Meine Zahnärztin hat es später nicht geglaubt, sie meinte, der Zahn sei abgestorben. Aber ich sagte ihr: „Bei Beethoven stirbt man nicht so leicht.“

Das ist das Geheimnis der Musik, dass sie Unruhe, Schmerzen, Trauer und Melancholie vergessen macht. Seit diesem Erlebnis ist die heilsame Wirkung der Musik auf die Gesundheit ein Thema, das mich sehr interessiert.

All das fiel mir heute Vormittag ein, als ich das Sonntagskonzert auf NDR Kultur hörte. Ich dachte daran, dass Du vor einem Jahr irgendwann nicht mehr erkannt hattest, von wem die wundervolle Musik aus unserem kleinen Küchenradio stammte – nachträglich weiß ich, dass Deine Seele nicht mehr zu Hause war, wenn Du Beethovens Musik nicht mehr erkennen konntest. Du warst früher immer zu Tränen gerührt, wenn wir eins der Klavierkonzerte Beethovens hörten – im Radio oder von der CD – oder aber im Konzert.

Beethoven, das war Deine Welt – auch wenn ich eher zu Brahms tendierte, so war ich doch immer gerne mit Dir zusammen in Deiner Musikwelt. Immerhin hast Du in der Anfangszeit unserer Freundschaft den Vorsitz in einer Abiturprüfung gehabt, als einer meiner besten Schüler aus dem Musik-Grundkurs über Beethovens achte Sinfonie sprach. Die Prüfung haben wir beide mit „sehr gut“ bewertet, und der junge Mann ist heute Jazz-Trompeter in der WDR-Big Band!

Beethoven – weißt Du noch?

Wie oft haben wir beide das fünfte Klavierkonzert gehört – ich müsste eigentlich jede Note kennen. Den damals „jungen Dirigenten“ Christian Thielemann haben wir übrigens noch im letzten Silvesterkonzert aus Dresden, wo er inzwischen Generalmusikdirektor ist, gehört. Das Konzert wurde im Fernsehen übertragen – Du hast in Deinem Rollstuhl gesessen, ich in Deinem Sessel, und Senta auf dem kleinen Sofa hinter Dir.

IMG_1423Ich habe Dir erzählt, dass wir den jungen Dirigenten vor fast sieben Jahren in Salzburg erlebt hatten, aber Du konntest Dich nicht mehr daran erinnern. Du hast Dich nur über die wunderschöne Musik gefreut. Ich glaube, Beethoven haben sie gar nicht gespielt – aber das war für Dich ohnehin nicht mehr wichtig.

Diese Silvesternacht werde ich nie vergessen – es war unsere letzte gemeinsame Silvesternacht. Nicht nur, dass Senta mit uns zusammen dem Konzert gelauscht hat – sie ist eben ein musikalischer Hund, bei dem Herrchen und Frauchen!

IMG_1427Wir beide haben dann unser Fondue genossen – und später wieder vor dem Fernseher gesessen. Um Mitternacht haben wir wie jedes Jahr das Feuerwerk am Kölner Dom angesehen – natürlich über WDR 3 –  ein Glas Sekt getrunken und Berliner gegessen. IMG_1439

Später rief dann unsere Freundin Birgit aus Amerika an, die aufgrund der Zeitverschiebung noch nicht im neuen Jahr 2014 angekommen war. Und dann habe ich kurz vor zwei Uhr morgens die Kerzen an unserem Weihnachtsbaum angezündet – an dem schönsten Weihnachtsbaum, den wir beide in unseren gemeinsamen Jahren gehabt hatten.

IMG_1497Irgendwann habe ich die Kerzen – wie immer echte Kerzen und erst halb abgebrannt – ausgeblasen. So werden Senta und ich in diesem Jahr diese Kerzen erst abbrennen, bevor ich neue aufstecke. Denn wir werden wieder einen schönen Weihnachtsbaum haben, so wie in jedem Jahr, in dem ich mit Dir Weihnachten gefeiert habe.

Beethoven – weißt Du noch?

Ist das nicht wunderschön, dass man bei einer bestimmten Musik so viele schöne Erinnerungen hat? Es ist wohl wahr, dass ich Deine Seele bei Beethovens Musik wiederfinde, weil Du bei Beethoven immer zu Hause warst!

Beethovens Musik – das war ein Teil unseres gemeinsamen Lebens. Ein wichtiger Teil.

Weißt Du noch?