Gestern war ein trüber Wintertag auf unserer Sonneninsel. Es war kalt, es schneite ein wenig, die Sonne ließ sich nicht blicken, es war dunkel. So richtig für den Winter-Blues.

Hans Christian hatte den schon ein paar Tage, und am Abend zuvor hatten wir noch einige Aufregung, weil Senta im Garten bellte und andere sich darüber beschwert hatten. So ein Hund kann ja nichts dafür, es waren Rehe in der Nähe, und Senta wollte uns und das Haus verteidigen.

Hans Christian sollte gestern nachmittag zum Augenarzt, der Termin stand schon lange fest, die Pflegerin wollte kommen – denn alleine schaffe ich es nicht mehr, ihn ins Auto zu hieven. Ich musste um 11 Uhr zum Zahnarzt, es war spiegelglatt unterwegs und ein Wetter, das schlechte Laune erzeugte. Hans Christian hatte die schon, als ich losfuhr. Vom Zahnarzt aus sagte ich den Augenarzttermin ab.

Später war ich wieder zu Hause, durfte aber nichts essen, wegen der Betäubung an meinem Zahn. Die Zeit verstrich langsam, Hans Christian ging es nicht gut, und mir war nicht danach, etwas anderes zu machen als zu frühstücken. Er wollte unbedingt bei mir in der Küche bleiben, wo es eigentlich ganz gemütlich war an diesem dunklen Tag.

Dann brachte ich ihn mit dem Treppenlift nach oben zum Mittagsschlaf. Er sagte: „Ich kann nicht mehr“ und fing schwer an zu atmen. Immer schneller ging der Atem. Oben setzte ich ihn in seinen Rollstuhl und rief unseren Hausarzt an – Freitag mittag, 13 Uhr, eine „passende“ Zeit. Zuerst hob niemand ab, also rief ich die Pflegerin an, die sich nach einem Arzt umsehen wollte. Als sie zurück rief, hatte ich schon Kontakt mit dem Hausarzt, der bei Patienten unterwegs war. Auch unsere Nachbarin hatte ich erreicht, die sofort zu uns kam. Wir waren unsicher, ob Hans Christian hyperventilierte, also taten wir auch nichts dagegen.

Die Pflegerin kam sofort, wir hielten Hans Christian am Arm und versuchten, ihn zu beruhigen. Der Hausarzt rief an und sagte, er könne erst in ca. 15 Minuten da sein, wir sollten Hans Christian zum tiefen Durchatmen animieren. Er hatte kaum aufgelegt, als ich sah, wie Hans Christians Hände ganz blau wurden.Ich rief die 112 an. Immer wieder sagte er „Ich kann nicht mehr“, und ich habe versucht, ihm Mut zu machen: „Niemals aufgeben, es wird bald besser! Du darfst nicht aufgeben, alles wird gut. Bald kommt der Doktor und hilft Dir. Morgen geht es Dir schon wieder besser. “ Aber er hatte panische Angst, und sein Atem konnte sich nicht beruhigen. Wir saßen an seiner Seite und hielten ihn, machten ihm Mut, atmeten mit ihm.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen der Krankenwagen und der Notarzt, unsere Nachbarin stand schon unten an der Einfahrt, um ihnen zu winken, denn sie waren mehrfach ums Dorf gekreist. So groß ist ja Neujellingsdorf eigentlich nicht. Es war wohl die falsche Hausnummer weiter gegeben worden, und meine Erklärung „Gleich hinter Töpfer rechts abbiegen“ hatten sie nicht erfahren. Eine junge Dame kam mit einem Gerät als erste die Treppe herauf – ich war erleichtert, weil ich endlich erfahren wollte, ob es ein lebensbedrohlicher Notfall war. Hans Christian war nämlich kaum noch bei Besinnung.

Es kamen noch mehr Leute mit Geräten, und dann sagte der eine „Ich bin der Arzt“. Er wollte erst mal die Diagnose wissen – die konnte ich ihm nicht sagen, weil sie keiner genau weiß. Das letzte Gutachten einer Uniklinik stammte von 2009, da musste ich erst mal in dem entsprechenden Ordner auf dem Dachboden nachschauen. Der Arzt meinte, ich solle mir keinen Stress machen. Die Besatzung des Krankenwagens war eifrig um Hans Christian bemüht. Dann fragte der Arzt mich nach der Patientenverfügung – aber wir haben keine. Der Schock saß tief bei mir – stand es so schlimm um Hans Christian? Nein, schließlich meinte er, die Vitalwerte seien alle in Ordnung. Aber so eine Patientenverfügung wäre doch wichtig. Ob wohl in dem Zustand, in dem mein Mann war, eine lebensverlängernde Maßnahme überhaupt einen Sinn hätte?

Zum Glück meinte auch der Notarzt, dass eine Einweisung ins Krankenhaus nicht sinnvoll wäre – das hätte ich auch nicht gewollt. Deshalb haben wir noch nie einen Notarzt gerufen, seit wir hier wohnen. In der Nacht vor unserem Umzug vom Südstrand nach Neujellingsdorf – es herrschte ein heftiger Orkan – hatte Hans Christian auch einen Anfall, worauf ich den Notarzt rief. Damals sagte der Arzt, wir sollten entscheiden, ob Hans Christian ins Krankenhaus sollte – machen konnte er nichts. Er hatte ihn auch nicht weiter untersucht – das ist doch eigentlich der Grund, warum man einen Arzt ruft. Weil man selber unsicher ist, was denn der Grund für den plötzlichen Anfall ist.

Zum Glück kam gestern unser Hausarzt, kurz nach dem Notarzt. Alles beruhigte sich, Hans Christian wurde auf seine Liege gelegt und bekam ein Beruhigungsmittel. Allmählich schlief er ein.

Senta war ganz lieb, als ich sie wieder ins Haus ließ, nachdem die Ärzte und der Krankenwagen weg waren. Sie legte sich neben Hans Christians Liege und war ganz ruhig. Als ich ihn am Abend weckte, merkte ich, dass er nassgeschwitzt war und Fieber hatte. Unser Hausarzt rief noch einmal an und sagte, ich solle ihm Aspirin geben, es könnte eine Grippe sein.

Die Pflegerin kam noch einmal, wusch Hans Christian, zog ihn um und brachte ihn ins Bett. Kaum war sie weg, da lag Senta im Bett neben Hans Christian. Sie war einfach nicht zu bewegen, aus dem Schlafzimmer zu kommen, wo sie sonst nie hinein darf. Sie lag da, als wollte sie sagen: Ich muss doch auf Herrchen aufpassen!

Nach einer Nacht mit einigen Unterbrechungen schlief Hans Christian heute lange und tief. Er hatte ein paar mal heftig geniest, aber das Fieber war schon nach der ersten Aspirin weg, und morgens um fünf hatte ich ihm noch mal eine Aspirin gegeben. Unser Hausarzt kam auch heute mittag noch mal vorbei, aber da ging es Hans Christian schon wieder etwas besser. Er konnte wieder schimpfen und laut schreien, was uns zeigte, dass die Lungen in Ordnung waren.

Hier kam dann auch die Sonne heraus und die Welt sah viel freundlicher aus als gestern. Nach dem ausgiebigen Frühstück war er bald wieder müde und schlief einige Stunden.

Am Nachmittag machte ich mit Senta einen wunderschönen Spaziergang im Schnee. Sie hatte große Freude daran, durch den frischen Schnee zu hüpfen und ihre Schnauze hinein zu stecken. Heute abend habe ich lecker gekocht und Hans Christian hat gut gegessen. Nur ein Bier wollte er nicht haben.

Senta war den ganzen Tag richtig brav, sie versuchte nicht, ihr Herrchen zu ärgern oder ihm das Leberwurstbrötchen zu klauen, was sie sonst schon mal gerne macht. Im Garten bellte sie nur wenig und kam dann auch bald wieder zu uns herein. Als ich im Schlafzimmer die Wäsche zusammen legen wollte, kam Senta und legte sich mitten ins Bett. Sie wartete auf ihr Herrchen – aber die Laken waren voller Haare, weil Senta zur Zeit einen Fellwechsel hat. Die Kätzchen waren natürlich auch gleich da.

Erst als ich aus dem Schlafzimmer ging, kam Senta mir hinterher. Dann zog ich zwei neue Laken auf – nicht ganz einfach, mit einem Kätzchen, das sich unter dem Laken verstecken wollte. Und dann habe ich es geschafft, Hans Christian aus der Küche zu holen, mit dem Treppenlift nach oben zu befördern, ihn ins Bad und dann ins Bett zu bringen. Als er dann das vertraute „Du blöde Kuh“ sagte, wusste ich, dass es ihm schon wieder besser geht. Nun schläft er, und ich hoffe, dass es ihm morgen noch ein wenig besser gehen wird!  Senta liegt hinter dem Schreibtisch und schläft, die Kätzchen im Gäste-WC sind ganz ruhig, und ich werde jetzt bald den Computer abschalten.

Ich wünsche Euch einen schönen Sonntag!